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 04.Tag: Auf holpriger Piste (F88) zum Sitz der Götter (Herdubreid)

Datum Km Σ Km Hm Σ Hm Übernachtung
13.08.2008 68 169 300 850 Camping Herdubreidarlindir

 

Herdubreid, der „breitschultrige“ Berg war mein nächstes Etappenziel. Dieser wie einfach in die Landschaft gesetzt wirkende Vulkan gilt als der „schönste“ Berg Islands. Mit 1682 m Höhe zeichnet er sich markant von der umgebenden Landschaft ab. Seine Flanken sind steil und bestehen aus lockeren Lavasteinen, welche eine Besteigung nicht einfach machen. Der einzige Weg hinauf führt über eine Felsscharte am nordwestlichen Berghang. In der Mythologie ist der Berg der Sitz der Götter, die Götterburg Asgard. Ab Mittags ist der Gipfel häufig in Wolken gehüllt. Die Isländer sagen dann wohl, dass er wieder seine Schlafmütze übergestülpt hat.

Eine anspruchsvolle anstrengende Tour stand mir an dem Tag bevor. Beim Zeltabbau um ca. 08:00 Uhr wusste ich noch nicht, dass ich für die Gesamtstrecke von 68 km (davon 8 km Asphalt) eine Gesamtzeit von 9 Stunden und 20 Minuten benötigen würde. An reiner Fahrzeit würde ich an dem Tag 7 Stunden und 21 Minuten im Sattel sitzen bzw. mich schiebend bewegen. Die 8 km zurück bis zum Straßenabzweig waren schnell geradelt. Ab dort begann mein Hochlandabenteuer. Ein etwas unsicheres Gefühl beschlich mich, als ich die Ringstraße verließ und in Richtung Herdubreid schaute. Welche Schwierigkeiten würden im Hochland wohl auf mich warten? War die Strecke mit dem Hänger überhaupt zu bewältigen? Ich verscheuchte die Gedanken, trat in die Pedale und freute mich auf das Abenteuer.

Die ersten Kilometer ließen sich sogar noch relativ gut fahren. Stellen mit quer zur Fahrbahn verlaufenden Rillen (Waschbrettpiste) gab es zwar reichlich, ich wich aber immer an den seitlichen Rand oder in die Fahrbahnmitte aus. Dort kam ich so mit einer Geschwindigkeit zwischen 10 und 15 km/h voran. Die F88, die ich befuhr, befindet sich am Rande der Odadahraun. Diese ca. 5000 qkm große grauschwarze Wüste aus Lavagestein erstreckt sich von der Ringstraße im Norden bis an den Rand des Vatnajökull im Süden. Im Westen und Osten wird sie durch zwei reißende Flüsse, dem Skjálfandafljót und dem Jökulsá á Fjöllum begrenzt. Früher wurden in dem Gebiet wohl Missetäter ausgesetzt, deren Überlebenschance deshalb gering war, weil es einfach kein Wasser gab. Das Regenwasser versickert sehr schnell in der porösen Lava.

Nach 15 km kam ich noch an einem kleinen See vorbei, danach wurde es spannend. Ich näherte mich einem vollkommen versandeten Teilstück, auf dem ein Fahren absolut unmöglich war. Wie lang würde ich mein Gespann wohl schieben müssen? Ein Ende war nicht zu sehen! Keine 500 m hatte ich mein Rad geschoben, als mir zwei Radfahrer, ihr Rad schiebend entgegen kamen. Ich staunte nicht schlecht, kilometerlang war ich auf dieser Piste bereits unterwegs gewesen, niemand hatte mich überholt oder war mir bisher entgegen gekommen. Ich freute mich über diese menschliche Begegnung in der Felswüste und begrüßte sie herzlich. Hannah T. und Tim Z. hatten in der Odadahraun übernachtet und waren tags zuvor an der Askja gestartet. Wir tauschten unsere Emailadressen und Informationen über die Qualität der jeweils bereits zurückgelegten Wegstrecken aus, danach war jeder wieder auf sich alleine gestellt.

Von den beiden bekam ich die nette Information, dass ich das Rad nur noch ein kurzes Stück schieben musste. Schaut man in eine Karte der Region, stellt man fest, dass sich die F88 quasi parallel zum Fluss Jökulsá á Fjöllum nach Süden schlängelt. Ungefähr nach 30 km auf der F88 führt die Straße sehr nah an den Fluss heran. Für mich natürlich ein Gelegenheit mal wieder meine Digitalkamera aus der Lenkertasche zu kramen.

An dieser Stelle hatte ich ungefähr die Hälfte der Pistenstrecke hinter mich gebracht. Es war Mittagszeit, so um die 13:00 Uhr und meine Hochrechnung ergab eine Ankunftszeit von ca. 17:00 Uhr bis 17:30 Uhr. Zwei Furten waren zwar noch zu meistern, eine dritte musste ich aber nicht queren, weil mein mitgeführtes Büchlein „Island per Rad“ mir sagte, dass es für Fußgänger und Radfahrer eine schmale Brücke gab.

Einen kleinen Schreck gab es noch auf den nächsten Kilometern. Im Gepäck hatte ich mehrere Wasserflaschen mit insgesamt 8 Litern Wasser verstaut. Zwei der Flaschen waren mit einem Gurt oben auf der Hängertasche befestigt. Der Inhalt der Ortliebtasche hatte sich durch die Rüttelei etwas komprimiert und dadurch den Gegendruck auf den Gurt vermindert. Das Resultat war der Verlust einer 1,5 Liter Wasserflasche. Den ersten Gedanken zurückzuradeln verwarf ich sehr schnell.  Zwei Liter hatte ich bisher verbraucht und die restlichen 4,5 Liter würden mehr als genug reichen um meinen Zielort die Oase Herdubreidarlindir zu erreichen. Dort würde es wieder Wasser geben und die zwei bis drei Liter Reserve hatte ich nur für den Notfall mitgenommen.

Etwas später erwartete mich die erste Furt durch die Grafarlandaá. Sie war ca. 40 cm tief und die Strömung eher als ungefährlich einzustufen. Rad und Hänger ließen sich an der Grafarlandaá in einem Gang durch den Fluss drücken. Das einzige Mehr an Zeitaufwand bestand in der Zeit, die ich benötigte um die Schuhe aus und die Neoprensocken sowie Tevasandalen anzuziehen. Einige Kilometer radelte ich noch auf recht flachem Terrain. Danach ging es über ein dickes Lavafeld, das mich mit seinem leicht welligen Profil und kurzen aber steilen Anstiegen noch ziemlich forderte.

Aufmerksame Leser werden vielleicht etwas bemerkt haben. Auf dem Foto mit dem Erläuterungstext „Auf dem dicken Lavafeld“ sieht man auf dem Hänger zwei Wasserflaschen. Wo kommt die zweite her? Ich hatte doch vor einigen Kilometern  eine verloren! Nachstehend die Erklärung:  An dem Tag hatten mich insgesamt zwei Allradfahrzeuge und ein Hochlandbus überholt.  In dem zweiten der Allradfahrzeuge saß ein deutsches Ehepaar, das sich auf dem Weg zur Askja nicht erklären konnte, warum mitten in der Wüste Wasserflaschen auf der Fahrbahn lagen. Sie überholten mich mitten in dem dicken Lavafeld, nachdem ich mal wieder einen kleinen schweißtreibenden Anstieg geschafft hatte und kurbelten die Scheibe herunter.  Im Fenster erschien meine Wasserflasche! Die menschlichen Begegnungen auf solchen Strecken im Hochland waren schon klasse.

So einige Stunden waren inzwischen vergangen und mein Zielort war nicht mehr in weiter Ferne. An den Kräften hatte die Piste merklich gezerrt, ich fühlte mich zwar noch einigermaßen, wünschte mir aber die kleine Oase „Herdubreidarlindir“ endlich zu erreichen. Die letzte Furt durch die Lindaá mit einer Tiefe von ca. 40 cm zeigte sich ebenfalls als eher harmlos. Bei der geringen Flussströmung stellte sie kein Problem dar. Auffallend war der zunehmende grüne Bewuchs je näher man der „Oase“ Herdubreidarlindindir kam.

Herdubreidarlindir bedeutete ja übersetzt „Quellen des Herdubreid“. Mehrere Zweige des klaren Flusses Lindaá  sorgten in der Umgebung für eine Vegetation, die nach meinem kilometerlangen Aufenthalt in der Odadahraun vollkommen unwirklich wirkten. Und dennoch, es gab sie.  Ich fühlte mich nach den über 9 Stunden Tagespensum schon recht abgekämpft, übersehen konnte man diese pflanzliche Idylle aber nicht. An den Ufern der kleinen Bäche standen Exemplare des „Echten Engelwurz“, die bis zu 150 cm groß werden konnten. Die rosa Blüten des „Arktischen Weidenröschen“ säumten fast jeden Weg. Nachstehend mal einige Fotos von meinem Aufenthalt in der Hochlandoase. Den „Warden“ (Platzwart) fand ich an dem Abend in einer jungen Dame, die mit einem Buch in den Händen auf den Knien Pflanzen identifizierte.  Ihren Vater lernte ich erst zwei Stunden später kennen. Was war das für eine Welt? Ich hatte einen wunderschönen Blick auf den Sitz der Götter, freute mich über die geschaffte Tagesetappe und orientierte mich gedanklich schon auf den nächsten Tag.

 


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