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 08.Tag: Der Höchste, am Cime de la Bonnette

Datum Km Σ Km Hm Σ Hm Übernachtung
31.07.1998 147 601 1.662 11.513 Camping Panoramer

 

Es ist Freitag, der 31.07.98. Ein Traum scheint wahr zu werden. Geht alles gut, stehen wir heute Abend am Mittelmeer. Wenn wir heute in Nizza ankommen wollen, müssen wir ca.145 km bewältigen, dazu als „kleine“ Beigabe den höchsten Alpenpass. Aufgrund des umfangreichen Programmes, stehen wir bereits um 07:00 Uhr auf. Unsere Abfahrt wird leider durch ein aufkommendes Gewitter etwas verzögert. Den Regenschauer warten wir ab. Anschließend starten wir sofort durch in Richtung Jausier. 7 km weiter am Straßenabzweig zum Cime de la Bonnette, machen wir alle kurz ein Foto vom Straßenschild und schon geht es zwischen Wiesen hindurch über langgezogene Kehren hinauf. Ein älterer Herr überholt uns mit seinem Rennrad. Alle Achtung, mit ca. 60 Jahren fährt er noch hinauf auf den höchsten Alpenpass.

Die Passtraße über den Cime de la Bonnette besaß nie wirtschaftliche Bedeutung. Sie ist eigentlich eine alte Militärpassstraße, die der Überwachung des Grenzgebietes nach Italien hin diente. Heute wird man hin und wieder mal von einem Wohnmobil überholt, von viel Verkehr aber keine Spur. Die umliegenden Bergrücken betrachtend, bekommt man nicht gerade den Eindruck hinauf auf den höchsten Alpenpass zu fahren, vielmehr erscheinen die umliegenden Berge zunächst nicht so hoch. Aber noch müssen wir über 20 km hinauf.

In 2000 m Höhe entdecken wir eine steinerne Berghütte mit einem Schild “Halte 2000” davor. Offensichtlich die letzte Möglichkeit vor der Passhöhe noch etwas zu uns zu nehmen, entscheiden wir uns für eine Rast. Im Innern der Hütte eine tolle Atmophäre. Alte Holztische mit entsprechender zugehöriger Bestuhlung stehen links vom Eingang. Eine alte hölzeren Theke mit einer dicken uralten Bohle direkt vor uns. Eine Geschirrtruhe in der Art, wie man sie heute eigentlich nur noch in Museen sieht, steht in einer Ecke. Die kleine Tochter des Gastwirtes empfängt uns mit ihrer Katze. In Gedanken stelle ich mir gerade ihren Schulweg vor, da erscheint der bärtige Gastwirt. Er strahlt eine liebenswürdige Gemütlichkeit aus. Wir setzen uns an den Tisch und bestellen Zwiebelkuchen. Die Truhe enthält tatsächlich das Geschirr. Die Tochter nimmt die für unseren Zwiebelkuchen bestimmten Teller aus der Truhe. Das Besteck liegt in einem Holzschränkchen, nicht wie heute üblich in einer Schublade mit einem entsprechenden Einsatz. Während ich fotografiere, hat sich die Katze bereits zu Martin und Burkhardt gesellt. Burkhardt streichelt ihr das Fell und krault sie. Ich fühle mich in eine vergangene Zeit zurückversetzt, wir besitzen nur nicht die passende Kleidung.

Nach der Rast, 200 bis 300 m höher, durchfahren wir eine kleines Hochtal. Die Landschaft wird immer karger. Mehrere kleine Bäche fließen durch das Tal, links und rechts Geröllhänge. Nicht weit davon, in ca. 2500 m Höhe, die verfallenen Steinhütten der ehemaligen Militärunterkünfte von Restefond. Ein großes Schild am Eingang und Informationstafeln weisen auf die ehemalige Bedeutung der Anlage hin. Wir halten kurz an und schauen uns ein paar der alten Kasematten an. Die Dächer fehlen fast überall vollständig. Für die Soldaten wird es im Winter hier oben nicht gerade angenehm gewesen sein.

Einige Kehren noch hinauf und etwas weiter rechts von uns, ist er bereits in der Ferne zu sehen, der Cime de la Bonnette. Der reinste Schuttkegel. Während unsere Fahrt hinauf habe ich den Eindruck bekommen, dass das Gestein immer dunkler wurde. Hier oben dunkelgrau bis schwarz. Die Strasse besitzt auch keinen besonders guten Zustand mehr. An einigen Stellen sieht man, dass sie rissig ist und das der Untergrund nachgegeben hat. Der Teerbelag fehlt teilweise, die Leitplanken kippen verdächtig zur Seite.

100 m vor uns, dass Passschild vom Restefond de la Bonnette. Links zu sehen ist bereits das Straßenschild mit der Aufschrift Nizza. Eigentlich könnten wir von hier aus direkt nach Nizza weiterfahren. Ich glaube allerdings, dass sich niemand, der einmal mit dem Fahrrad bis hierher gefahren ist, die Schleife um den Cime de la Bonnette entgehen läßt. Der am Cime de la Bonnette stehende Gedenkstein mit einer eingelassenen Tafel ist vom Restefond aus nicht zu sehen. Er steht hinter dem Kegelberg. Wir machen am Restefond  ein paar Fotos und fahren dann das letzte Stück zum höchsten für den öffentlichen Straßenverkehr freigegebenen Punkt der Alpen hinauf. Die Steigung nimmt auf den letzten 50 bis 100 Höhenmetern auf annähernd 15 % zu. Sind wir noch die ganze Strecke bis hierher gefahren, ab diesem Punkt geht nichts mehr. Die letzten 200 Meter schieben wir bis zum Gedenkstein. Wir sind oben, wir können es kaum fassen! 2802 m hoch und uns trennen nur noch gute 110 km vom Mittelmeer. Und die gehen nur bergab. Ich komme mir vor wie im Himmel. Um uns herum nur Tiefe. Weit entfernt zu sehen ist der westlich gelegenere Col de Cayolle. Auf der Passhöhe befindet sich eine kleine Holzhütte. Links davon ein paar Tische und Stühle. Für Größeres ist neben der Strasse nicht mehr genügend Platz zur Verfügung. In der kleinen Holzhütte sitzt ein Mann mit wettergegerbtem Gesicht. Auch hier oben gibt es tatsächlich unser übliches Souvenir zu kaufen, den Passaufkleber.

Wir verlassen die Passhöhe erst kurz nach 14:00 Uhr. Bei mir kommen leise Bedenken  hinsichtlich der noch zu fahrenden Kilometerleistung auf. Schließlich muß die Abfahrt aufgrund der schlechten Straßenverhältnisse langsam angegangen werden. Kilometer um Kilometer geht es hinab. In St. Etienne de Tinee treffen wir zwei ca. 20-25 Jahre alte Holländer. Sie fahren in die gleiche Richtung und müssen kurz vor uns oben auf der Passhöhe gewesen sein. Einer von den Beiden ist mit einem hochbeladenen Fahrradanhänger unterwegs. Auf meine Frage hin, wie gut sich damit bergauf fahren läßt, bricht er in Begeisterung aus. Das Fahrrad selber ist nicht so hoch belastet, der Vorteil ist, keine Speichenrisse zu haben, usw.... Sie sind bei der Abfahrt noch zügiger unterwegs. Wir sehen sie nicht mehr wieder. Wir fahren durch eine wunderschöne Gegend. Schade, dass wir nicht mehr Zeit haben. Hoch oben auf der linken Seite liegt Isola 2000, ein Skiort, wahrscheinlich ähnlich wie Val d´Isere. Ich mache Tempo, fahre mit 40-50 km/Std weiter ins Tal. Burkhard und Martin bleiben etwas zurück. Sie beschweren sich später zu Recht bei mir, haben Angst das wir uns vor Nizza verlieren. Es geht zwar nur geradeaus, aber es kommt wirklich nicht mehr auf eine Viertelstunde an, da es ohnehin spät wird. Kurz vor der Küste schwenken wir Richtung Cagnes sur mer. Unser Campingplatz soll weiter im Ort liegen. Wir müssen ihn glücklicherweise nicht mehr suchen. Die Ausschilderung ist gut.

Dann der “Hammer”. Zum Campingplatz “Panoramic”geht es nochmals 100 m mit bis zu 18% hinauf. In Anbetracht unseres Gepäcks und der bereits hinter uns liegenden Tagesleistung schieben wir das letzte Stück. Selbst das fällt uns schon schwer. Um 21:15 Uhr stehen wir erst auf dem Campinplatz. Die Luft um uns herum ist sehr schwül und drückend, ca. 30 Grad C. Wir bauen unser Tunnelzelt schnell auf, duschen und schaffen es gerade noch rechtzeitig bevor die Küche schließt, etwas zu Essen zu bekommen. Es ist inzwischen dunkel. Der Blick in Richtung Meer, mit den zigtausenden von Lichter drumherum, ist aus unserer leicht erhöhten Position gewaltig.

Wir haben 600 km und über 11500 Höhenmeter in den Beinen und befinden uns am Meer. Das Gefühl, das sich bei mir breit macht, ist unbeschreiblich.

 


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